Bitterfeld war zu DDR Zeiten Industrieschwerpunkt. Neben dem Braunkohleabbau am Tagebau Goitzsche wurde Bitterfeld als Chemiestandort bekannt. Die Stadt gehörte zu den bedeutendsten Standorten für Chemieanlagen im Osten Europas. Durch diese Industrieschwerpunkte wurde das Image der Stadt Bitterfeld sehr negativ beeinflusst. Bekannt wurde das Fotochemische Kombinat Wolfen (ORWO) durch die Erfindung des Farbfilmes. Jährlichen wurden durch die Schornsteine der Fabriken circa 52.000 Tonnen Staub und 120.000 Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre entlassen. Die Region stand als Synonym für die Umweltverschmutzung. Jährlich wurden 30 Millionen Kubikmeter Abwasser in den ehemaligen Braunkohle Tagebau Johannes von 1955 bis zur Wende 1989 in den sogenannten Silbersee abgeleitet. Erst durch die Schließung des Chemiekombinates 1989 ging die Abwasserlast des Silbersees zurück.
Der vollzogene Wandel der vergangenen Jahre ist heute ein Vorzeigebeispiel für deutsche und internationale Chemiestandorte. Das ehemalige Gelände des Chemiekombinates und des Fotochemischen Kombinates wurde durch Abriss und Sanierung zu einem 1.200 Hektar großen Chemiepark umgewandelt. Um den Wandel der Goitzsche zu analysieren, muss erklärt werden, was die Goitzsche früher war und wie sie sich im Laufe der Zeit gewandelt hat:
Damals als Industrieschwerpunkt, heute als bedeutendster Tourismusmagnet der Region. Der Übergang von einer auf die vorwiegende Nutzung regenerativer Energien angewiesenen Gesellschaft zum dominierenden Einsatz fossiler Energieträger wurde Ende des 19. Jahrhundert geschaffen. Die Industrialisierung kam nach Bitterfeld und damit auch die Chemie. Produkte wurden aus Naturstoffen geschaffen, die bisher relativ unbekannt waren. Wesentliche Voraussetzungen dieser Produkte waren billige und ständig verfügbare Energien. Die mächtigen Braunkohlevorkommen unter den Auenflächen des Goitzschewaldes lieferten dieses Material. Zwischen 1893 und 1909 stieg die jährlich geförderte Menge an Rohkohle von knapp 1,5 Millionen Tonnen auf circa 3,7 Millionen Tonnen. Die Industrie wuchs und mit ihr die Bevölkerung. Der Auenlandschaft Goitzsche wurde einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg der Todesstoß verpasst. 1949 begann südöstlich der Stadt Bitterfeld der Aufschluss des Tagebaues Goitzsche. Über Jahrzehnte hin wurde Braunkohle aus dem Tagebau Goitzsche gewonnen. Die Agrarstruktur der umliegenden Landschaft wurde völlig verändert.
Ein Jahrhundert später war die „Gottesaue Goitzsche“ verschlungen von der Industrie. Bitterfeld als Standort des Braunkohlebergbaus, von Braunkohlekraftwerken, Kokereien und Großbetrieben der Elektrochemie war berüchtigt für dramatische Umweltschäden.
Mit der Wende kam die Wende für die Region. Das Aus für die Großchemie war auch gleichzeitig das Aus für die Braunkohlegruben. Quasi über Nacht wurden Fabriken geschlossen und Menschen arbeitslos. Die hohe Arbeitslosigkeit, die stillgelegten Betriebe und die hohe Umweltbelastung waren nach der Wende große Probleme für die Stadt. Was macht man mit so vielen stillgelegten Fabriken und einer Bergbaulandschaft, die nicht genutzt wird? Es gab viele Ideen, was mit der Bergbaulandschaft geschehen sollte. Schnell wurde klar, dass eine neugestaltete Bergbaufolgelandschaft echte Chancen für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung dieser Region bieten kann. Die Bergbaulandschaft Goitzsche sollte als „weicher“ Standortfaktor wieder bedeutsam werden wie damals die Kohle und das Wasser. Eins war dabei klar, ohne attraktive Freizeitangebote entwickelt sich heute kein Standort wirtschaftlich erfolgreich. Die Entwicklung der Bergbaufolgelandschaft gestaltete sich durch viele Faktoren allerdings schwierig. Es gab keine Pläne und Strategien, wie mit dem Nachlass des Bergbaus umgegangen werden sollte.
Gleichzeitig zur Einstellung des Bergbaus vollzog sich ein Wechsel der gesellschaftlichen Strukturen. Die DDR gab es nicht mehr. Damit wurden Rahmenbedingungen ungültig und neue mussten geschaffen werden. Aus Teilen der Bergbaubetriebe entstand die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV). Ihre Aufgabe war die Sicherung und Sanierung ehemaliger Bergbauflächen. Im Mai 1991 begann die LMBV mit der Sanierung des ehemaligen Tagebaus Goitzsche. Globales Ziel war die Schaffung eines Landschaftsparks mit einer Gesamtfläche von mehr als 60 Quadratkilometern. Im Kern dieser Fläche sollte ein See entstehen mit einer Fläche von 15 Quadratkilometern und einer Maximaltiefe von 75 Metern. Für dieses Ziel mussten Schwerpunkte gesetzt werden. Diese waren unter anderem Abstützungsarbeiten zur Standsicherheit der Böschungen, die Demontage von Tagebaugroßgeräten sowie wasserwirtschaftliche Maßnahmen zur Flutung der gewaltigen Hohlräume.
1993 schlossen sich die Kommunen Bitterfeld, Holzweißig, Petersroda, Mühlbeck, Pouch und der Landkreis Bitterfeld zum Kommunalen Zweckverband Bergbaufolgelandschaft Goitzsche zusammen. Diese diente als Plattform für Diskussionen künftiger Nutzungskonzepte. Ein Masterplan musste her, um die Entwicklung des Landschaftsparks Goitzsche voranzutreiben. Im Dezember 1995 war es soweit. Der Kommunale Zweckverband sowie das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Sachsen-Anhalts gaben solch einen Masterplan in Auftrag. Er fixierte erste Nutzungsstrukturen im besiedelten Bereich sowie der freien Landschaft und unterbreitete Vorschläge für abgestimmte und übergreifende Flächennutzungsplanungen. Viele Ideen kamen zum Vorschein. Viele Varianten wurden diskutiert. Ein Freizeitpark, eine neue Mecklenburgische Seenplatte oder doch ein Riesenbiotop? Eine neue Kulturlandschaft kam ins Wachsen, die auf dem Reißbrett entstanden ist und es so noch nie gegeben hat. Ein Refugium für Mensch und Natur von außergewöhnlicher Dimension.
Um den neu entstandenen Goitzschesee mit allen Uferzonen und Wasserflächen zu verwalten benötigte man eine Verwaltungsgesellschaft. Das Unternehmen Bitterfelder Qualifizierungs- und Projektierungsgesellschaft mbH (BQP) wurde damit beauftragt. Diese erschloss 2003 die Entwicklungs-, Betreiber-, Verwertungsgesellschaft Goitzsche mbH (EBV) als hundertprozentige Tochterfirma. Die EBV diente der Förderung und Entwicklung der touristischen Infrastruktur des Goitzschesees. Sie übernahm die Aufgaben der Vermarktung, des Betriebes und des Besitzes der Wasserflächen einschließlich der ufernahen Gebiete bis 2012. Bei der Übernahme der Goitzsche investierte die Firma zusammen mit dem Land und der Stadt circa 32 Millionen Euro in den Ausbau des Tourismus.
Mit der Überschuldung der Stadt Bitterfeld-Wolfen ging es auch mit der EBV langsam zu Ende. Es drohte 2011 die Insolvenz. Die Stadt musste finanzielle Einsparungen vornehmen. Es wurden keine Investitionen mehr an der Goitzsche vorgenommen. Parkplätze wurden nicht saniert, die Grünflächen wurden nicht mehr gepflegt und außer den erwähnten Events keine weiteren Veranstaltungen auf der Halbinsel zugelassen. 2012 wurde die Tochterfirma der BQP insolvent. Die Stadt musste überlegen, was sie mit diesem Landschaftspark anstellt. Um dieses Gebiet weiter zu betreiben benötigt sie Geld. Die Stadt war mit 80 Millionen Euro in den Schulden. Ihr drohte die Zwangsverwaltung. So entschloss man sich, das Gebiet der ehemaligen EBV zu verkaufen.
Drei touristische Unternehmen machten Angebote für diese Flächen. Höchstbieter war die Blausee GmbH unter Ihrem Geschäftsführer Hans Martin Oettinger. Die Blausee GmbH bot 2,9 Millionen Euro für die Flächen. Dem Unternehmen gehören bereits der Gröbener See, der Greminer See und die Leipziger Seen. Um den Goitzschesee zu verwalten, gründete die Blausee GmbH im Januar 2014 die Goitzsche Tourismus GmbH als Tochterunternehmen. Geschäftsführer der neuen Goitzsche Tourismus GmbH wurde Ingo Jung, ein Unternehmer aus der Region. Er erkannte seit den ersten Jahren das Potenzial der Goitzsche und war 2005 der erste Unternehmer mit touristischen Angeboten an der Goitzsche. In einem Interview erklärte er: „Die Goitzsche hat Potenzial. Wir werden zusammen mit der Blausee GmbH einige Veränderungen an der Goitzsche vornehmen. Natürlich bleibt die Goitzsche für alle Anwohner offen. Wir haben Visionen bis 2020, wie sich der See verändern soll. Auch haben wir Investoren gefunden, die uns dabei unterstützen“. Auch die Stadtverwaltung ist davon überzeugt, „die Goitzsche Tourismus GmbH investiert in die Zukunft unserer Stadt“, so Gabriela Schulze, Bereich Kultur & Tourismus der Stadt Bitterfeld- Wolfen.
Um jedoch die Instandhaltung der Flächen zu gewährleisten, mussten kostenpflichtige Parkplätze geschaffen werden, um die dadurch entstehenden Einnahmen zur Verfügung zu haben. Sie haben viel geplant. Es sollen Hotels gebaut werden, neue Strandabschnitte werden geschaffen und die Halbinsel Pouch soll zu einer Familieninsel ausgebaut werden. Auch hier stehen die Events um die Goitzsche im Vordergrund. Es muss mehr passieren an der Goitzsche. So sind Veranstaltungen wie das Großfeuerwerk Goitzsche in Flammen, das Festival Sputnik Spring Break oder auch das Goitzsche Fest mit der internationalen Motorboot WM von entscheidender Bedeutung für die Region. Um weitere Events veranstalten zu können, werden auch die Medienversorgungen auf der Halbinsel Pouch erneuert und ausgebaut. Die Goitzsche ist damit seit dem Jahr 2014 zu zwei Dritteln privatisiert. Quelle: Matthias Streich
Das Mitteldeutsche Seenland
Vom Wandel einer Landschaft, Sax Verlag, 2013
Bitterfeld Braunkohle-Brachen
Probleme, Chancen und Visionen, Prestel Verlag, 2001
Bitterfelder Chronik
100 Jahre Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen, Chemie AG Bitterfeld Wolfen, 1993
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